Warum du mit Disziplin keinen Blumentopf gewinnst

Ich tue doch genau, was mir mein Trainer sagt. Ich führe seine Anweisungen diszipliniert aus und ich halte mich exakt an seinen Trainingsplan. Noch nie habe ich eine Trainingseinheit ausgelassen. Ich gehe die Wettkämpfe taktisch so an, wie mein Trainer es mir vorgibt. Und trotzdem komme ich auf keinen grünen Zweig.

Grenzen ausloten

Es ist für mich immer wieder beeindruckend, wie konsequent und diszipliniert Athleten Traineranweisungen umsetzen und Trainingspläne 1:1 abspulen. Dabei wird jedoch eine der wichtigsten Selbstmanagement-Fähigkeiten ignoriert: Die Selbstwahrnehmung.

Einer meiner Trainer sagte mir einmal: Ein Athlet, der einen Trainingsplan 1:1 abspult, ist ein schlechter Athlet. Denn dieser spürt sich nicht und hat keine Flexibilität, sich auf veränderte Rahmenbedingungen – wie zum Beispiel das Wetter – einzustellen.

Verstehe mich nicht falsch. Leistungssport ist kein Ponyhof. Es braucht konsequentes, regelmässiges und systematisches Training, um an die Spitze zu kommen. In vielen Trainings wirst du an deine Grenzen kommen und auch darüber gehen müssen, damit sich der gewünschte Trainingseffekt einstellt. Aber …

Was tust du, wenn du schon auf dem Zahnfleisch gehst, leicht angeschlagen bist und ein hartes Intervalltraining auf dem Programm steht? Ziehst du es durch, einfach weil es auf dem Programm steht?

Hier die Disziplin an die erste Stelle zu setzen, ist aus meiner Erfahrung wenig sinnvoll. Du darfst auf jeden Fall nicht überrascht sein, wenn du danach für längere Zeit platt bist.

Das schlechte Gewissen

Obwohl dir dein Unbewusstes klare Signale in Form von somatischen Markern („diffuse Körpersignale“) sendet, ignorierst du diese.

Dein Verstand sagt, du musst dieses Training durchziehen. Eventuell aus Angst, im Fahrplan in Rückstand zu geraten? Lässt du es ausfallen, wirst du von deinem schlechten Gewissen geplagt. Ziehst du das Training durch, meldet sich dein Körper vielleicht krank oder du wirst mit mit den Folgen des Übertrainings bestraft.

Hinterher wirst du dann sagen, hätte ich doch auf meinen Körper gehört oder wäre ich doch vernünftig gewesen.

Bei der oben beschriebenen Situation handelt es sich um einen typischen Motivkonflikt. Verstand und Unbewusstes bewerten die Situation unterschiedlich.

Zwei Entscheidungssysteme

Bei Entscheidungssituationen sind zwei Systeme beteiligt: Der Verstand und das Unbewusste.

Dein Verstand arbeitet Schritt für Schritt und bewertet eine Situation danach, ob sie richtig oder falsch ist. Triffst du eine Entscheidung mit dem Verstand, kannst du sehr gut und logisch begründen, warum du so entschieden hast.

Und du kannst die Konsequenzen für die Zukunft abschätzen. Dein Verstand arbeitet langsam und braucht ein wenig Zeit, bis er zu einer Entscheidung gekommen ist.

Dein Unbewusstes kann gleichzeitig viele Informationen verarbeiten und bewertet eine Situation nach einem anderen und einfachen Prinzip: mag ich oder mag ich nicht. Denn es lebt den Moment (im Hier und Jetzt) und verfolgt nur ein Ziel: psychisches Wohlbefinden. Seine Bewertung kommuniziert das Unbewusste blitzschnell in Form von somatischen Markern. Das sind diffuse Körpersignale oder Emotionen.

Du hast also zwei Systeme, die sich bei Entscheidungssituationen zu Wort melden und für dein Selbstmanagement ganz entscheidend sind.

Gutes Selbstmanagement

Wenn dein Unbewusstes etwas gerne und freiwillig tut, nennen die (Sport-) Psychologen das Selbstregulation. Das ist das Höchste, weil es Spass und Freude macht. Wer geht nicht gerne auf Angenehmes zu und tut das, was ihn begeistert?

Gegen Situationen, die dein Unbewusstes nicht mag, sträubt es sich dagegen vehement. Ein Besuch beim Frauen- oder Zahnarzt oder ein ungeliebtes Training ist alles andere als angenehm. Das muss vermieden werden! Mit dem Verstand kannst du dein Unbewusstes „disziplinieren“ und an die Leine nehmen. D.h. du zwingst es zu etwas, das es eigentlich gar nicht will. Das nennt man Selbstkontrolle.

In manchen Situationen mag das sinnvoll sein. Es braucht ärztliche Vorsorge und es wird dir immer wieder passieren, dass du dich für ein ungeliebtes Training „disziplinieren“ musst.

Selbstkontrolle ist jedoch eine suboptimale Form von Selbstmanagement, die vor allem für langfristige Ziele in höchstem Masse ungeeignet ist. Deshalb sollte sie sparsam eingesetzt werden.

Disziplinierst du dich regelmässig über eine längeren Zeitraum, kann dies zu Leistungseinbussen, Frustration und Verletzungen führen. Damit gewinnst du keinen Blumentopf.

Eine Lösung muss gefunden werden

Dein Verstand sagt: “Ja, wir müssen das Intervall durchziehen, sonst wird das nichts.“ Dein Unbewusstes sagt: “Nein, wir haben keine Energie mehr.”

Was tun? Das Unbewusste an die Leine legen und das Training durchziehen oder nachgeben und Beine hochlegen? Für eine gute Lösung müssen Verstand und Unbewusstes die Situation gleich bewerten. Dann entsteht psychisches Wohlbefinden.

Dafür braucht es einen guten schweizerischen Kompromiss, mit dem beide leben können. Das braucht manchmal ein wenig Zeit, „Diskussionen“ und Alternativen:

– Training ersatzlos streichen und einen Ruhetag einziehen
– Lockeres Regenerationstraining und Intervall auf den Folgetag verschieben
– Mit Kollegen ins Kino, Energie tanken
– etc.

Was passiert, wenn das Unbewusste die Variante „lockeres Regenerationstraining und Intervall auf Folgetag verschieben“ mag und der Verstand diese Entscheidung als „richtig“ bewertet?

Dein schlechtes Gewissen verschwindet und du hast für dich eine gute Entscheidung getroffen, weil Verstand und Unbewusstes zum selben Ergebnis gekommen sind. Damit hast du das Unbewusste im Boot. Die innere Zerrissenheit ist weg und es geht dir gut dabei.

Solange dein Verstand optimale Bedingungen vorfindet, arbeitet er einwandfrei. Weil deinem Verstand jedoch nur ein beschränkter Arbeitsspeicher zur Verfügung steht, ist er sehr empfindlich für Störungen. Darum ist er fehleranfällig und kommt schnell an seine Grenzen.

Vor allem, wenn du gestresst, genervt, hungrig, müde oder überfordert bist. Dann ist es vorbei mit der Selbstkontrolle und das Unbewusste reisst sich los. Das ist ein weiterer gewichtiger Grund, warum Disziplin (Selbstkontrolle) langfristig eine Sackgasse ist.

Fazit

Es ist von grosser Bedeutung, dass du deine Bedürfnisse wahrnimmst. Vielleicht musst du in neuen Situationen zuerst Erfahrungen sammeln und daraus lernen. Manchmal braucht es Zeit, Unbewusstes und Verstand aufeinander abzustimmen. Nimm dir diese Zeit. Gehe sparsam mit „Selbstkontrolle“ um, setzte diese ein, wo es notwendig ist. Aber nicht mehr.

Wenn das Unbewusste im Boot ist und du selber entscheidest, was gut für dich ist, wirst du mit Spass und Begeisterung dein Leistungspotenzial abrufen können.

Nutze deine Möglichkeiten!

Martin

PS: Ich bin übrigens der Meinung, dass mit dem Unbewussten im Boot alles ein wenig einfacher geht.

Besser sein, wenn's zählt!
3 bewährte Sport-Mental-Techniken helfen dir dabei