Wie du deine Tochter unterstützen kannst und trotzdem keine Nervensäge wirst

Sabine ist die Mutter von Laura. In der Sportfamilie ist sie die Organisatorin und die gute Seele im Haus. Sie weiss immer, wer wann und wo sein muss. Sie unterstützt, wo sie kann, und schaut, dass es allen gut geht. Dabei schiesst sie manchmal auch kräftig über das Ziel hinaus. Du kannst dir sicher gut vorstellen, dass es dann zu Konflikten und unschönen Szenen kommt.

Gut gemeint

Sabine meint es nur gut. Sie ist immer da, wenn man sie braucht. Eine Mama mit Leib und Seele. Sie schaut, dass Laura und Luca immer gut versorgt sind. Abhängig vom Stunden- und Trainingsplan ihrer Kinder kocht sie auch zu unterschiedlichen Zeiten und scheut keinen Aufwand. Sie unterstützt bei den Hausaufgaben, tröstet, verarztet, macht Mut oder nimmt ihre Kinder einfach in den Arm. Den Fahrdienst teilt sie sich mit ihrem Mann Markus auf. Wenn im Verein Not am Mann ist oder ein Wettkampf ausgetragen wird, hilft sie auch dort bereitwillig mit. Kurz gesagt: Sabine ist immer da, wenn man sie braucht. Und sie unternimmt alles, damit Laura und Luca optimale Bedingungen vorfinden.

Eine Nervensäge

Und dennoch ist Laura im Moment nicht so happy mit ihrer Mutter.

Meine Mutter ist machmal eine richtige Nervensäge! An den Wettkämpfen bemuttert sie mich, dass es richtig peinlich ist und ich mich für sie fremdschämen muss.

Weisst du, ich schätze es sehr, dass sie so engagiert ist und mich so megamässig unterstützt. Aber sie versteht einfach nicht, dass sie sich etwas zurücknehmen sollte, wenn ich mit meinen Sportkolleginnen zusammen bin. Ich möchte sie nicht immer dabei haben. Eigentlich wäre es mir am liebsten, wenn sie mich zum Wettkampf fährt und sich dann einfach ‚dünn‘ macht und ‚verzieht‘.

Ich habe ihr das auch schon gesagt. Vielleicht habe ich auch den Ton verfehlt. Du kannst dir vorstellen, wie das bei ihr angekommen ist. Sie war eingeschnappt und hat mich als undankbare, überhebliche Göre bezeichnet. Super! Seither ist wieder dicke Luft. 🙁

Bedürfnisse verändern sich

Die Situation von Laura konnte ich gut nachvollziehen. Bei mir gab es ab und an Konflikte wegen ähnlichen Situationen. Dabei verstand es meine Mutter (meistens) ausgezeichnet, sich unsichtbar zu machen. Und auch ich habe ihre Unterstützung sehr geschätzt. Wenn ich an einen Wettkampf oder ins Trainingslager ging, war immer alles parat. Selbst die Salzgurken und die Maiskolben, die ich damals so liebte, waren immer vorrätig. Sie verstand es auch, mich in Frieden zu lassen, als ich von Wettkämpfen zurückkam, und mich nicht gleich zu löchern. Meinem Vater fiel das etwas schwerer. Eine Frage von ihm im falschen Augenblick löste manchmal eine „hässige“ Reaktion von mir in seine Richtung aus. Ich wollte einfach ankommen, er war neugierig und interessiert.

Doch zurück zu Laura. Ausser dem ausgeprägten Freiheitsmotiv von Laura kommt hier noch ein weiterer Aspekt hinzu …

Bedürfnisse verändern sich. Der Wunsch nach Vertrautheit ist im Alter von 16 bis 25 eher gering, um nicht zu sagen an einem Tiefpunkt angelangt. Unbewusst wollen deine Kinder in dieser Altersspanne keine Elternnähe mehr. „Nötigst“ du sie dennoch dazu oder wenn sie sich dazu verpflichtet fühlen, ist „das Theater“ vorprogrammiert. Mehr zu diesem Thema findest du hier

Eine Begegnung mit Folgen

Als ich wieder einmal einen Wettkampf von Laura besuchte, lernte ich ihre Mutter mehr oder wenig zufällig kennen. Laura war gerade beim Einlaufen, als sich ihre Mutter Sabine anpirschte. Was sich dann abspielte, wäre womöglich einen separaten Artikel wert. 😉 Ich versuche mich kurz zu fassen.

Laura hatte Spass und „blödelte“ beim Einlaufen mit ihren Kolleginnen herum. Bis Mama auftauchte. Das Verhalten von Laura änderte sich blitzartig. Sie nahm sich zurück und ihre Körpersprache signalisierte ganz klar: Halte dich fern von mir.

Was machte Sabine? Sie lief direkt auf Laura zu und deckte sie mit guten Ratschlägen und „mütterlicher Sorge“ ein. „Hast du alles? Und denk daran, bei der Wärme gut zu trinken“ etc. Der Höhepunkt war jedoch, als sie Laura herzlich umarmte und ihr einen nassen Schmatzer aufdrückte. Laura wäre am liebsten im Erdboden versunken. Ihre Körperhaltung sprach Bände. Sie fühlte sich offensichtlich alles andere als wohl und amüsiert. Mittlerweile stand sie auch alleine da, denn ihre Kolleginnen hatten sich in der Zwischenzeit aus dem Staub gemacht.

Lauras Stimmung war in dem Moment auf dem Nullpunkt angelangt. Dabei wäre eine gute und freudige Stimmung wichtig für den bevorstehenden Wettkampf.

Nur der Bimbo

Als Laura bemerkte, dass ich die Situation aus der Distanz beobachtete, winkte sie mir zu. Auch Sabine drehte den Kopf in meine Richtung. Die Gelegenheit nutzte ich und ging auf die beiden zu. Laura stellte mich ihrer Mutter vor und machte sich mit einem breiten Grinsen vom Acker.

Es folgte ein längeres Gespräch mit Sabine. Sabine bemerkte die Veränderung bei Laura und fühlte sich nicht besonders wohl in ihrer Haut. Sie fühlte sich überfordert. Meine Fragen und mein offenes Ohr führten dazu, dass sie ihrem ganzen Ärger Luft machte.

„Bin ich denn nur der Bimbo, der gut genug ist, wenn man etwas von mir braucht?“

Ja, grundsätzlich kann man das so sehen. Aus der Sicht von Sabine ist diese Wahrnehmung sicher nachvollziehbar. Ich versuchte, ihr die Reaktion von Laura mit einer Geschichte näherzubringen.

Frauenabend

Stell Dir vor … du freust dich auf einen ausgelassenen und lustigen Frauenabend mit deinen besten Freundinnen. Dein Mann fährt dich zur Location und sagt dann: „Jetzt wo ich schon mal hier bin, komme ich mit euch mit. Lass uns richtig auf den Putz hauen.“ Wie würdest du darauf reagieren? Ich bin mir sicher, deine Freude würde sich in Grenzen halten. Oder?

Auch wenn du deinen Partner liebst … glaubst du im Ernst, dass der Abend gleich verlaufen wird, wenn er dabei ist? Wirst du dich gleich verhalten und über die gleichen Themen reden?

Sei mal ehrlich. Es wäre ziemlich nervtötend, wenn dein Mann mit von der Partie wäre. Deine Tochter fühlt sich ziemlich sicher sehr ähnlich, wenn sie die ganze Zeit unter deiner Beobachtung steht und von dir „bemuttert“ wird!

Zuhause geniesst sie deine Aufmerksamkeit. Sie freut sich über die warmen Mahlzeiten und die Rundumbetreuung.

Es gibt jedoch Orte und Momente, da braucht sie ihren Raum und ihre Freiheit! Wenn du ihr diesen Raum und die Freiheit nicht gewährst, darfst du nicht enttäuscht sein, wenn sie dir die kalte Schulter zeigt. Das ist normal!

Zeit für mich

Ich gab ihr zu verstehen, dass es für Laura besser ist, wenn sie ein wenig Distanz wahrt. Dieser Pfeil traf sie hart. Eine beklemmende Stille machte sich breit. Sabine überlegte einen Moment und fragte mich mit einem Tränchen im Auge: „Was soll ich denn tun?“ Ich antwortete mit einer Gegenfrage. „Was würdest du denn tun, wenn du es selber wüsstest?“

Sabine antwortete nachdenklich:

„Ich würde wieder einmal etwas für mich tun. Denn ich habe schon lange nichts mehr für mich getan und meine Bedürfnisse in den Vordergrund gestellt …“

Sabine machte sich auf den Weg in die Stadt. Sie ging ein wenig „lädele“, besuchte eine Kunstausstellung und genoss einen guten Cappuccino in der Sonne. Bevor sie ging, hatte sie mich nur darum gebeten, ihr eine SMS zu senden, falls sich Laura für den Final qualifiziert. Diesen wollte sie nicht verpassen.

Sabine kam pünktlich zu den Finalläufen zurück ins Stadion und feuerte Laura von der Tribüne aus an. Für beide war es ein gelungener Tag. Laura genoss den Wettkampftag mit ihren Kolleginnen und lief einen guten Wettkampf. Sabine nahm sich wieder einmal Zeit für sich und genoss ihren „Freitag“. Die ersten Stunden wurde sie noch von einem leichten Unbehagen und dem schlechten Gewissen begleitet, weil sie nur für sich schaute. Das legte sich mit der Zeit aber ein wenig.

Laura sagte mir nach dem Wettkampf, dass es ein richtig cooler Tag war. Sie konnte einfach sie selbst sein. Ganz nebenbei: Laura freute sich sehr, dass ihre Mutter sie von der Tribüne aus anfeuerte. Als Laura frisch geduscht aus der Garderobe zurückkam, lief sie auf ihre Mutter zu und drückte diese ganz fest. Sabine strahlte!

Fazit

Jugendliche Sportler brauchen Raum für sich und ihre Entwicklung. Vergiss bitte nicht: Für den Trainings- und Wettkampfbetrieb sind Trainer und Athlet verantwortlich.

1. Vertraue dem Trainer – er ist der Experte!

Er ist gut ausgebildet und kennt sich in der Traingsplanung sowie technisch und taktisch aus – auch wenn das für Aussenstehende nicht immer offensichtlich ist. Deshalb macht es wenig Sinn, dem Trainer zu sagen, wie er sein Training gestalten soll und was er tun muss. Das ist meistens nur kontraproduktiv. Unterstütze den Trainer und sei fair.

2. Jugendliche können sehr gut Entscheidungen treffen

Sie wissen meistens sehr gut, was ihnen gut tut. Natürlich gibt es Bereiche, wo ihnen die (Lebens-) Erfahrung noch fehlt. Dort brauchen sie ein wenig Unterstützung. Lass sie jedoch selber entscheiden, was gut für sie ist! Selbst wenn es aus deinem Blickwinkel falsch ist. Die Erfahrung müssen sie selber machen, damit sie aus ihren Fehlern lernen können!

Eine Sportlerin, die gute Entscheidungen mit dem Unbewussten im Boot treffen kann, wird nicht so schnell aus der Bahn geworfen.

Vertraue deiner Tochter – sie weiss, was ihr gut tut!

3. Zeige deiner Tochter, dass du an sie glaubst, und unterstütze sie auf ihrem Weg

Das ist für mich ein sehr wichtiger Punkt. Es geht um deine Tochter und nicht um dich! Es ist nicht relevant, was du mit deiner Tochter für ein Ziel verfolgst und wie du dir ihre Entwicklung erhoffst (gilt übrigens auch für Trainer). Die Ziele deiner Tochter sind massgebend! Wenn ihre Ergebnisse nicht deinen Erwartungen entsprechen, heisst das nicht, dass es für sie auch so ist. Akzeptiere das und unterstütze sie aus vollem Herzen. Fördere ihre persönliche Entwicklung, damit sie persönlich gestärkt ihre Möglichkeiten nutzen kann!

4. Halte räumliche Distanz und sei da, wenn es dich braucht

Nimm dich ein wenig zurück. Lass sie im Training und Wettkampf in Frieden. Sei einfach da, wenn es dich braucht. Sie schätzt deine vielfältige Unterstützung und dass du mitdenkst. Auch wenn sie dir das nicht so zeigt, wie du dir das manchmal wünschst.

5. Sei gelassen und nutze die Zeit für dich!

Nimm dir Zeit für dich, wenn es die Situation erlaubt. Als Mutter darfst du auch deine Bedürfnisse in den Vordergrund stellen. Du musst nicht immer nur geben! Nur wenn es dir gut geht und du genügend Energie hast, kannst du für deine Tochter und deine Familie da sein.

Hast du ähnliche Situationen als Mutter, Trainer oder Athlet schon erlebt? Wie bist du damit umgegangen und was sind deine ganz persönlichen Erfahrungen? Ich freue mich, wenn du diese unten als Kommentar hinterlässt.

Nutze deine Möglichkeiten

Martin

PS: Ich bin übrigens der Meinung, dass jeder selber entscheiden sollte, was für ihn gut ist.

PPS: Und mit dem Unbewussten im Boot geht alles ein wenig einfacher.

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