Thomas erinnert sich noch gut, als er in den Startlöchern für Olympia stand.
Nach einer beeindruckenden vorolympischen Saison standen die Zeichen gut, dass er sich zum ersten Mal für die Olympischen Spiele qualifiziert. Für viele (und ihn auch) war das nur noch eine reine Formsache.
Der Verband und sein Umfeld traute ihm sogar eine Überraschung zu.
Mit Leichtigkeit
Thomas ist eine Frohnatur, die alles mit Leichtigkeit meistert. Er trainiert gewissenhaft und meistert die Doppelbelastung Training – Schule besser als die meisten seiner Klassenkameraden.
Und seine sportliche Entwicklung ist beeindruckend. Seit er sich seinem Sport verschrieben hat, geht es nur aufwärts.
Rückschläge kennt er nicht und mit (gefühlten) Misserfolgen musste er sich bisher kaum auseinandersetzen.
Sein Trainer lobt ihn immer wieder für seine technischen Fähigkeiten und wie schnell er Anweisungen umsetzen kann.
Thomas wird als Supertalent gehandelt, das zukünftig bei Grossanlässen Medaillen abräumen könnte.
Natürlich schmeichelte das Thomas.
Mental stark
Weil Thomas alles mit Leichtigkeit meistert und bei internationalen Junioren-Wettkämpfen regelmässig in den Top 5 anzutreffen ist, sehen in ihm alle einen mental starken Athleten.
Am Tag X bringt er seine Leistung (fast) immer!
Zum Sport-Mentaltraining hat er eine spezielle Einstellung. Er ist der Meinung, dass du nur positiv denken und dich mit positiven Affirmationen aufbauen musst. „Ich bin gut“, „Ich bin der Beste“ etc. waren sein Credo.
In dieser Hinsicht kommt die Philosophie seines Vaters zum Tragen. Sein Vater ist Führungskräftetrainer mit einem US-amerikanischen Mentor. „Think big, walk tall“ predigt er in seinen Trainings. Diese Haltung färbt auch auf Thomas ab.
Deshalb ist es nicht überraschend, dass er immer wieder sagt: „If you can dream it, you can do it.“
Sich mit Rückschlägen, Misserfolgen oder möglichen Hindernissen auseinanderzusetzen, macht für ihn wenig Sinn. Das zieht dich nur hinunter!
Bisher blieb Thomas von grösseren Misserfolgen verschont. Bei den kleineren hat er die negativen Emotionen verdrängt und sich nicht damit auseinandergesetzt. Misserfolge konstruktiv verarbeiten gehört nicht zu seinem Selbstkonzept.
Thomas sucht erst dann eine Lösung, wenn das Problem unumgänglich ist. Und auch das nur ungern. Positiv denken reicht doch. 😉
Als Profi zur Olympia-Qualifikation
Thomas hat sich dafür entschieden, sein Studium erst nach den Olympischen Spielen zu beginnen und alles auf die Karte Sport zu setzen.
Von seinem Umfeld wurde das sehr begrüsst. Das gibt ihm mehr Zeit für Trainings und Trainingslager und auch mehr Zeit für seine Regeneration.
Sein Vater wurde schon vorher aktiv, um die Weichen auf Erfolg zu stellen.
Auf die Olympiasaison hin gewann er zwei Firmen aus seinem Netzwerk als Sponsor für seinen Sohn. Eine Olympia-Qualifikation lässt sich schliesslich gut verkaufen.
Natürlich wollen Sponsoren auch einen Gegenleistung. Diese war schnell gefunden.
Nebst dem Logo auf seiner Trainings- und Wettkampfbekleidung musste Thomas bei diversen Kundenevents anwesend sein und Vorträge über seinen Weg zu Olympia halten. Er machte das gut und gerne. Das freute die Sponsoren und seinen Vater sehr.
Weil er bei den Kunden gut angekommen ist, wurde bereits über die Planung nach den Olympischen Spielen nachgedacht und ein Grobkonzept entworfen.
Ein guter Sommer
Thomas erlebte einen ausgezeichneten sowie problem- und verletzungsfreien Sommer.
Körperlich machte er noch einmal einen Schritt vorwärts und die Leistungstests stimmten ihn optimistisch.
Die Vorträge waren für ihn eine willkommene Abwechslung, für die er ab und an ein Trainingslager für einen Tag verlassen hat. Diese Verpflichtung nahm er gerne wahr. Vor allem weil er damit eine gute Basis für später legen konnte.
Seine Trainingsergebnisse und die Leistungstests zeigten ihm, dass er auf dem richtigen Weg war.
Auch im direkten Vergleich mit seinen Teamkollegen machte er eine gute Figur.
Aufgrund seiner Entwicklung betrachtete er die Olympia-Qualifikation immer noch als reine Formsache.
Er war bereit.
Auf einmal unter Druck
Thomas konnte die ersten Wettkämpfe und den ersten Weltcup kaum erwarten.
Schliesslich hat er über den Sommer viel darüber gesprochen.
Nach den ersten Testwettkämpfen war er sehr optimistisch. Thomas war überzeugt, dass er die nationalen und internationalen Richtlinien, respektive den Quotenplatz, bereits nach dem ersten Weltcup in der Tasche haben wird.
Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.
Durch sein Engagement über den Sommer wussten natürlich viele von seinem Vorhaben. Er versäumte es auch nicht, ausführlich über seine Social-Media-Kanäle zu informieren.
Sein Vater liess immer wieder verlauten, dass die Olympia-Qualifikation ein Klacks für Thomas ist und er für Höheres bestimmt ist. Denken darf man das.
Beim ersten Weltcup hat sich seine Lockerheit auf einmal in Luft aufgelöst. Die Anspannung war ihm ins Gesicht geschrieben. Im Wettkampf war er nur noch ein Schatten seiner selbst. Koordinativ hat er nicht mehr viel auf die Reihe bekommen, trotz positivem Denken.
Es war ein Wettkampf zum Vergessen, den er gleich abhakte.
Dennoch blieb er positiv und trichterte sich wie gewohnt ein: „Ich bin gut“, „Ich bin gelassen“ etc., etc.
Dass es noch nicht klappte, sei nicht tragisch, gab er gegenüber den Medien zu Protokoll. Wichtig sei, dass er im Februar in Form sei. Der Trainingsaufbau sei auf die Olympischen Spiele ausgerichtet …
Ach so.
Der zweite Qualifikations-Wettkampf war ein Abklatsch vom ersten. Thomas blieb erneut weit hinter seinen Erwartungen zurück.
Langsam begannen die Nerven zu flattern.
Die letzte Chance
Damit Thomas bei seinem letzten Wettkampf gute Unterstützung hat, scheute sein Vater keine Mühe.
Die Sponsoren und die wichtigsten Familienmitglieder hat er an diesen wichtigen Wettkampf eingeladen. Dadurch geriet Thomas noch mehr unter Druck.
„Du musst nur positiv denken, dann kommt es gut“, hat ihm sein Vater geraten.
So ganz nebenbei erwähnte er gegenüber Thomas, was eine Olypmia-Qualifikation ihm für Möglichkeiten eröffnen und was er alles schon in die Wege geleitet hat.
Es fehlte nur noch die Aussage: „Enttäusch mich jetzt nicht.“ So deutlich brauchte es das aber gar nicht. Das wurde nonverbal transportiert.
Thomas ging topmotiviert an den Start. Leider versagte er auch im dritten Anlauf.
Olympische Spiele ade.
An seinen körperlichen und technischen Fähigkeiten lag es nicht. Doch …
Sein Unbewusstes hat ihm einen Streich gespielt.
Der entscheidende Fehler
Thomas wollte sich unbedingt für die Olympischen Spiele qualifizieren. Die Olympia-Qualifikation hätten ihm einige Türen geöffnet. Sein Vater hatte diesbezüglich schon vorgesorgt. Einer seiner Sponsoren setzte sogar eine Prämie für eine Olympia-Qualifikation aus und eine Option für eine weitere Zusammenarbeit.
Dafür legte sich Thomas richtig ins Zeug. Auch bei den Kundenevents.
Gegenüber seinen Kollegen sprach er oft von dieser Prämie und den Möglichkeiten, die sich ihm danach bieten könnten.
Etwas hat er dabei vergessen. Seine Möglichkeiten zu nutzen. Sein Fokus war nur vermeintlich am richtigen Ort.
Thomas fokussierte sich nur auf die Belohnung.
Das war der entscheidende Fehler.
Trotz guter körperlicher Verfassung und positivem Denken schaffte er es nicht, sich auf das Wesentliche zu fokussieren.
Mit seinem Körper und Geist am gleichen Ort zu sein und am Tag X eine Topleistung abzurufen.
Dafür hätte er sich nur auf das fokussieren müssen, was er gut kann. Womöglich wäre das für die Olympia-Qualifikation ausreichend gewesen. Wäre …
Doch die Belohnung war zu mächtig.
Der Frust
So blieb ihm nur der Frust über die verpasste Quali und der Gedanke: „Was werden wohl die anderen denken?“
Er hätte sich auch fragen können: Was lerne ich daraus und wie kann ich es das nächste Mal besser machen?
Leider hat er das nicht getan.
Thomas ist kein Einzelfall. Wie ihm erging es schon einigen Athleten. Mir sind Fälle bekannt, bei denen Athleten Printartikel mit Max Sportler, Olympiateilnehmer 19xx produziert haben und die Olympia-Qualifikation verpassten.
Falscher Fokus!
Hast du dich auch schon auf die Belohnung fokussiert?
Fazit
Die Belohnung darf nie im Fokus sein. Damit versiebst du dir jeden Wettkampf.
Warum? Weil du nicht an zwei Orten gleichzeitig sein kannst.
Wenn du im Wettkampf mit deinem Körper auf der Bahn bist und dein Kopf schon beim Cüpli trinken ist, musst du nicht überrascht sein, wenn es danebengeht.
Der Fokus gilt immer dem, was jetzt in dem Moment zu tun ist. Dort bist du mit deinem Kopf und deinem Körper – zu 100 %!
Nutze deine Möglichkeiten!
Martin
PS: Ich bin übrigens der Meinung, dass mit mentaler Stärke alles ein wenig einfacher geht.
PPS: Und dass jeder Athlet von Sport-Mentaltraining profitiert.